Political Transfer. The use of foreign examples in politics, c. 1789-1960

Political Transfer. The use of foreign examples in politics, c. 1789-1960

Organisatoren
Groninger Forschungsgruppe "Parliamentary and Partisan Culture. Political Culture and View of Politics in the Netherlands and (Western) Europe, 19-20th Century"
Ort
Groningen
Land
Netherlands
Vom - Bis
14.01.2004 - 16.01.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Anne-Katrin Ebert, Groningen

Vom 14. bis 16. Januar 2004 fand in Groningen in den Niederlanden eine internationale Tagung zum Thema "Political Transfer. The use of foreign examples in politics, c. 1789-1960" statt. Teilnehmer aus den Niederlanden, Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Dänemark, Schweden, Finnland, den USA und Kanada kamen auf Einladung der Groninger Forschungsgruppe "Parliamentary and Partisan Culture. Political Culture and View of Politics in the Netherlands and (Western) Europe, 19-20th Century" unter der Leitung von Henk te Velde zusammen. Gefördert wurde die Konferenz von der Netherlands Organisation for Scientific Research, der Royal Netherlands Academy of Sciences and Arts, der University of Groningen Foundation und der Research School for the Humanities in Groningen. Eine gelungene Mischung aus Vorträgen im Plenum und Projektvorstellungen in kleineren Parallelsessions bot etablierten und jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gleichermaßen ein Forum, ihre Forschungsprojekte auszutauschen und zu diskutieren. Für zusätzliche Entspannung und Auflockerung sorgte der buchstäbliche Transfer der gesamten Konferenz von den Gebäuden der Rijksuniversiteit Groningen auf einen Bauernhof auf dem platten Land, in dem die Nachmittags- und Abendveranstaltungen des zweiten Tages stattfanden.

Die Groninger Forschungsgruppe besteht seit 2001 und beschäftigt sich in sieben Teilprojekten, die von Doktoranden und Post-Doktoranden bearbeitet werden, mit Fragen der politischen Kultur in Parlament und außerparlamentarischen Organisationen und Bewegungen der Niederlande im 19. und 20. Jahrhundert. Die Frage des Transfers politischer Modelle und Stile stellt sich dabei unmittelbar in einigen der Groninger Projekte. Beispielsweise behandelt Jaap van Rijn in einer vergleichenden Studie die "Debating Societies" in Großbritannien und den Niederlanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Annemarie Houke forscht über die Methoden der öffentlichen Selbstdarstellung der orthodox-protestantischen Bewegung, die 1879 mit der Antirevolutionären Partei die erste Partei moderner Prägung in den Niederlanden hervorbrachte.

Die Veranstalter verzichteten im Vorfeld bewusst auf eine genaue Definition des Begriffs "politischer Transfer". Stattdessen versuchten sie, sich anhand der vorgestellten empirischen Beispiele der Frage nach der Bedeutung ausländischer Vorbilder, der Übernahme fremder Modelle im Parlament, in den Parteien, in sozialen Bewegungen oder öffentlichen Demonstrationen zu nähern. In seinen einleitenden Worten bemühte sich Henk te Velde den in der deutschen Diskussion bisweilen vorherrschenden Antagonismus zwischen Transfer und Vergleich zu entkräften. Er verwies darauf, dass eine Geschichte des Transfers immer auch den Vergleich zwischen altem und neuem Umfeld beinhalten müsse. Im Unterschied zum Vergleich lenke der Blick auf den Transfer jedoch das Augenmerk auf die Verbindungen und den Austausch zwischen verschiedenen nationalen Einheiten. Allerdings hätte sich auch gezeigt, dass die auf internationale Kontexte gerichtete Transferforschung das Denken im nationalen Rahmen nicht grundsätzlich aufheben könne. Vielmehr neige sie häufig dazu, in der Analyse des Transfers nationale Eigenschafen sogar noch zu betonen. Auch habe der Schwerpunkt von Transferstudien bisher eher auf der Übernahme von Ideen und Theorien gelegen, wohingegen die Groninger Tagung, laut te Velde, den Blick gerade auch auf die Adaption politischer Praktiken lenken wolle. Schließlich verwies er auch auf die Schwierigkeit, dass ausländische Vorbilder und Modelle häufig als rhetorisches Element in der eigenen Debatte gebraucht würden, ohne dass von einem Transfer im eigentlichen Sinne die Rede sein könne. Damit deutete er bereits auf ein Problem hin, das die Gemüter in den kommenden Tagen immer wieder erhitzen sollte, nämlich die Frage, was denn nun eigentlich einen "real transfer" ausmache und wie dieser zu erkennen sei.

In seiner keynote address stellte der amerikanische Soziologe Charles Tilly (Columbia University) auf der Grundlage seiner umfangreichen Forschungen zu sozialen Bewegungen sechs Mechanismen im politischen Transfer vor, die von der taktischen Innovation über das Verhandeln mit verschiedenen Instanzen, der Anerkennung und Nicht-Anerkennung durch Machthaber hin zur lokalen Adaption führen. Tilly betonte, dass in den sozialen Bewegungen trotz Unterschieden in politischen Ideen und Programmen ein Repertoire politischer Praktiken entstanden sei, das unabhängig von den jeweiligen Inhalten existiere. In seinen Ausführungen entwarf er ein Modell zur Annäherung an das Phänomen des politischen Transfer, auf das im Verlauf der Konferenz jedoch recht wenig zurückgegriffen wurde. In den anschließenden Vorträgen im Plenum sowie in den Parallelsessions diskutierten Vortragende und Zuhörer über so unterschiedliche Phänomene wie die Übernahme englischer Parlamentsregeln in den französischen Nationalversammlungen von 1789 bis 1848, dem Einfluss der englischen Verfassung auf Columbia und Venezuela zwischen 1810 und 1830, die Modellfunktion britischer single-issue organizations auf niederländische Organisationen, dem Transfer sozialpolitischen Wissens zwischen den skandinavischen Ländern, dem Verhältnis zwischen britischen Sozialisten und deutschen Sozialdemokraten zwischen 1890 und 1960 und dem Bau von Barrikaden als Beispiel für den internationalen Transfer revolutionärer Symbole.

In ihrem faszinierenden Vortrag "Pirates of the Revolution. Women and the Diffusion of a Risorgimento Revolutionary Style" näherte sich Marjan Schwegman (Universität Utrecht / Direktorin des Niederländischen Instituts in Rom) der Frage nach dem politischen Transfer anhand der historischen Figur Giuseppe Garibaldis. Sie äußerte ihr Unbehagen gegenüber dem Kernbegriff der Konferenz, der eine Gesellschaft der klaren Grenzen impliziere, Grenzen zwischen Politik und Nicht-Politik, zwischen Wahrheit und Fiktion, zwischen Männern und Frauen. Stattdessen ginge es darum, eine dynamisch sich verändernde Welt ohne feste Grenzen, eine "messy world", ins Blickfeld zu bekommen. In Schwegmans Geschichte vom "Phänomen" Garibaldi kann von einem "Transfer" im Sinne einer eindeutigen Bewegung von A nach B kaum noch die Rede sein. Autoren, Vermittler und Rezipienten, Männer und Frauen, lösen sich in einem Geflecht gegenseitiger Zuschreibungen und Nachahmungen ebenso auf wie die Figur Garibaldi selbst. So wie dieser sein Leben dem romantischen Helden in Romanen nachempfand, so schrieben Autoren wie Alexandre Dumas und Elpis Melena als "ghostwriter" Garibaldis dessen eigene Memoiren. Besondere Aufmerksamkeit schenkte Marjan Schwegman dem Zusammentreffen von Liebe und Politik in den Geschichten um Garibaldi. In der romantischen Liebesgeschichte von Giuseppe und Anita sah Schwegman in Anlegung an Luisa Passerini ein Beispiel für die revolutionäre Macht der Liebe, die hier verschiedene Welten verbinde, überkommene Werte sprenge, bestehende Geschlechterrollen transformiere und letztlich den Beginn einer neuen politischen Ära einläute. Schwegmans Geschichte von der Liebe als einer transformierenden Kraft in der Verbreitung des italienischen revolutionären Geistes wirkte gleichermaßen inspirierend wie irritierend auf ihre Zuhörerschaft. In der Diskussion wurde denn auch wiederholt die Frage gestellt, ob und inwiefern es sich bei diesem Beispiel überhaupt noch um einen "political transfer" handelte. Auch die Referentin zeigte sich einigermaßen unschlüssig hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Begriffes, aber alternative Konzepte, wie z.B. die verschiedentlich in die Debatte eingeworfene "histoire croisée" fanden leider nur wenig systematische Erörterung.

Die Frage, ob der Begriff des "political transfer" tatsächlich hilfreich ist bei der Identifizierung und Thematisierung historischer Phänomene kehrte am Schlusstag der Tagung erneut zurück. In der Vormittagssession von Hanneke Hoekstra (Rijksuniversiteit Groningen), Mieke Aerts (Belle van Zuylen Instituut Amsterdam) und Mineke Bosch (Universiteit Maastricht) über den Austausch politischer Formen und Modelle in der Frauenbewegung am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts plädierten insbesondere die letztgenannten beiden Referentinnen für eine Abkehr vom Begriff des "political transfer", der in ihren Augen zu einengend wirke und die historische Realität verschleiere. Für ihre Analyse des Austauschs zwischen der niederländischen radikalen Frauenrechtlerin Wilhelmina Drukker mit belgischen politischen (Frauen-)Gruppierungen benutzte Mieke Aerts den Begriff der "intersections" und betonte, dass auch die Akteure selbst sich im Verlauf des Austauschs veränderten, ein Prozess, den sie als "transsubstantion" bezeichnete. Ebenso wie Mineke Bosch, die den Patchwork-Charakter der niederländischen Frauenrechtsbewegung und deren Intertextualität und Interkulturalität hervorhob, befürchtete sie, dass der Begriff des Transfers einer mechanischen Analyse historischer Vorgänge Vorschub leisten würde. In der anschließenden Diskussion wurde noch einmal deutlich, dass die Entscheidung der Organisatoren, den Begriff "Political Transfer" offen zu halten und auf eine genauere Definition im Vorfeld zu verzichten, die Auseinandersetzung auf einer gemeinsamen Basis teilweise erschwerte und zu Missverständnissen führen konnte. So attackierten Aerts und Bosch ein Konzept von Transfer, das in seiner Einfachheit von wohl kaum einem der Anwesenden vertreten worden wäre. Nichtsdestotrotz offenbarte die Diskussion aber auch die Schwierigkeiten, den Transfer in einem dynamischen Geflecht von Beziehungen im eigentlichen Sinne dingfest zu machen.

Auffällig wurde im Verlauf der Tagung, dass sämtliche niederländischen Beispiele sich mit einem Transfer politischer Praktiken und Modelle aus England beschäftigen. Inwieweit dies ein Beleg für die These Paolo Pombenis (Universität Bologna) von der Bedeutung des englischen Modells in der Politik des 19. Jahrhunderts darstellt oder auf einem bloßen Zufall der ausgewählten Beispiele beruhte, sei dahingestellt. Womöglich ist es aber auch ein Indiz für den gegenwärtig geringen Austausch in der historischen Forschung zwischen Deutschland und den Niederlanden. So kam kein einziger der anwesenden Professoren aus Deutschland, wohl aber waren Deutsche anwesend, die an Universitäten des Vereinigten Königreichs lehren. Auch war kein einziger Wissenschaftler aus Mittel- bzw. Osteuropa anwesend. Diese Beobachtung des gegenwärtigen Wissenschaftsbetriebes ist auch aufschlussreich für die Fragestellungen zum historischen Transfer: Eine Frage, die in den Vorträgen häufig ausgeklammert wurde und dennoch von grundlegender Bedeutung scheint, ist die nach dem Warum des Transfers. Warum wurde ein bestimmtes nationales Beispiel anderen vorgezogen, warum eigneten sich bestimmte Nationen eher als Vorbild als andere und für wen? Dieser Prozess der Selektion und der Legitimierung einer bestimmten Wahl wurde in den Beiträgen häufig zu wenig berücksichtigt. Daran anknüpfend stellt sich eine weitere, ebenfalls auf der Hand liegende Frage, die im Laufe der Konferenz überraschend wenig Beachtung fand, nämlich die nach den Machtverhältnissen. Die meisten in der Konferenz diskutierten Transferbeispiele beruhten auf Akteur-orientierten Analysen, die einen freien Austausch und die freie Wahl der Vorbilder zumindest implizit voraussetzten. Strukturelle Beschränkungen spielten kaum eine Rolle. Gerade in den Niederlanden, dem "größten kleinen Land" der Europäischen Union wäre aber die Frage nach der Macht und dem Verhältnis von großen und kleinen Ländern im politischen Transfer nahe liegend gewesen. Insofern war die von Wolfram Kaiser (University of Portsmouth) zum Abschluss der Tagung geäußerte Mahnung, die Akteure nicht zu überschätzen und die Bedeutung sozialer Strukturen nicht aus den Augen zu verlieren, durchaus berechtigt. Die im Vergleich größere Vorsicht der stärker kulturwissenschaftlich orientierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegenüber dem Begriff des Transfers im Unterschied zu ihren stärker politik- und sozialwissenschaftlich orientierten Kolleginnen und Kollegen wurde auch in der Abschlussdiskussion noch einmal deutlich. Gerade dieses Aufeinandertreffen unterschiedlicher Richtungen der historischen Forschung und das international breit gemischte Publikum machten aber auch den Reiz der Veranstaltung aus, die das Thema des Transfers nicht nur im Titel, sondern auch in der Praxis auf die Tagungsordnung brachte. Die Publikation eines Tagungsbandes ist vorgesehen.

Kontakt

Anne-Katrin Ebert
Marie Curie Fellow in the European Doctorate "Building on the Past": The Social History of Europe and the Mediterranean
Rijksuniversiteit Groningen / Universität Bielefeld
Faculteit der Letteren
Postbus 716
9700 AS Groningen
Nederland / The Netherlands
Tel: +31-(0)50-363-8532
Email: a.k.ebert@let.rug.nl
or anne-katrin_ebert@web.de